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Kirchenburg Tartlau - UNESCO-Welterbestätte seit 1999

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Kurzgeschichten von Rolf Lexen

Über die Redseligkeit der Tartlauer Sachsen

In den dreißiger Jahren war der Tartlauer Kohl sehr begehrt in allen Städten und Gemeinden der Umgebung. Besonders gut gedieh er im Krautwinkel, dem Gemüsegarten, den man aus der Hutweide gewonnen hatte. Hier hatten auch die Brüder Junesch ihre Parzelle. Der Kohl war prächtig gewachsen, fest und schwer.

Im Herbst beluden die Brüder Junesch schweigend den langen Leiterwagen, spannten die zwei Pinzgauer davor und fuhren nach Covasna, weil der Tartlauer Kohl dort sehr gefragt war. Als sie den Reußbach überquerten, nickte Hans schwer mit dem Kopf und sagte: "Ja, ja, dieser schmeckt gut." Sie fuhren nach Covasna, verkauften den Kohl, kauften eine Flasche Schnaps, tranken sie aus und kehrten zurück.

Als sie über den Reußbach in die Gemeinde hereinfuhren, sagte Georg: "Überhaupt mit Schweinefleisch." Sie fuhren in den Hof, schirrten die Pinzgauer aus und setzten sich schweigend zum Abendbrot.

Zuku

Die Eichen der Ebene sind meistens niedrig und verkrüppelt. So waren auch die Eichen des Landstriches, von dem ich erzählen möchte. Er war unter dem Namen Schweinewald bekannt und lag nordöstlich der Sachsengemeinde P. Schweinewald hieß er, weil im Sommer ständig Schweine da waren. Hüten musste sie niemand, da der Schweinewald von einem Sumpfgürtel umgeben war, wo sich auch die stärksten Eber nicht hineinwagten. Es musste bloß jemand da sein, der den Schweinen ihren Futterzuschuss gab. Dieser jemand war Zuku, der mächtige Schweinehirt, der aus der Gegend kam, wo man noch Opanken trug. Jetzt hatte Zuku ein Paar Stiefel aus Weichleder an, wie sie sonst nur die Herren tragen. Zuku hauste in dem gemauerten Häuschen, wo er eine Schlafstelle aus Stroh hatte. Auf dem Eisenherd stand ein Erzkessel, in dem Zuku seinen Maisbrei kochte. An der Wand hing ein Gummimantel, der als Regenschutz diente. In der Ecke des Stübchens stand ein Stuhl, der als Tisch verwendet wunde; darauf ein glattgehobeltes Brett, auf dem Zuku seinen Maisbrei ausstülpte. Jetzt saß Zuku auf dem Bänkchen vor der Kate und paffte aus einer Pfeife. Zu Beginn hatte er dieses starke Zeug in Zeitungspapier gewickelt und so geraucht, dann hatte er eine Pfeife gesehen und sich eine nachgemacht so gut es ging. Sie sah ziemlich grob aus, war aber gut. Er paffte und schaute den Wildenten nach, die über den Wald dahinzogen. Seine regelmäßigen Zähne waren schon ganz gelb von dem starken Zeug. Er dachte, dass er jetzt wieder Entenfleisch haben würde. Er musste bloß sein Gewehr putzen, das neben dem Dachbalken versteckt war. Er blieb aber sitzen, denn dies tat er am liebsten. Er saß und schaute nach den Ställen, die auf einer Seite offen waren, dass die Schweine bei schlechter Witterung hineinlaufen konnten. Überall lagen Schweine in der Sonne und grunzten träge vor sich hin. Zuku hatte zwei Hunde, und das waren seine Hunde. Halbwilde Bestien, die er irgendwo vom Gebirge gebracht hatte. Sie wurden aber zahm, sobald Zuku nur die Luft durch die Zähne gehen ließ. Es wäre dem schlecht ergangen, der mit Zuku angebunden hätte, wenn er die Hunde bei sich hatte. Zuku hatte vor niemandem Angst und Gott sah er in der Natur und dem Leben, das sie jedem spendete. Er konnte sich Gott nicht in das dumpfe Kloster denken, das er einmal besucht hatte. Die Sachsen hatten dann schon andere Kirchen; überhaupt sie waren ein anderes Volk... Über dem Nachsinnen war ihm die Pfeife ausgegangen.

Einer der Hunde schlug an. Nach dem Ton musste es die Zigeunerin Marie sein, die da kam. Sie kam zu ihm und wurde von ihm geliebt. Sie war immer sehr hungrig, denn die Zigeuner hausten erbärmlich am Rande der Gemeinde. Sie blieb aber nie lange bei ihm, denn Zuku war wortkarg und fühlte sich gut als Einsiedler. Er hatte seine zwei Hunde, und dieses Jahr wollte er sich einen Jungfalken aus der hohen Eiche holen. Er hatte schon einmal einen gehabt, der war ihm fortgeflogen. Nachdem die Zigeunerin weg war, machte Zuku einen Rundgang durch den Eichenwald, der eigentlich ein lichterer Baumbestand war. Auf der Eiche, in die der Blitz eingeschlagen hatte, bauten sich Störche ihr Nest. Zuku liebte diese Vögel, für ihn waren sie der Inbegriff des Frühlings. Ihr Klappern schien die Natur aus ihrem Winterschlaf zu wecken. Alle anderen Vögel konnte Zuku abschießen, nur diese nicht.

Zukus Leben verlief ruhig, wenn er nicht gerade schlief, aß oder döste, bastelte er etwas, rauchte seine Pfeife und dachte nach über die verschiedensten Dinge. Er hatte seine Freude daran, etwas zu basteln. So machte er ein kleines Schaufelrad, das sich im Bach drehte. Im Bach, in dem zur Laichzeit ganz große Forellen heraufkamen. Ihr Instinkt für die Arterhaltung ließ sie in ganz kleines Wasser kommen, und Zuku fing sie mit der Hand. An einer Stelle hatte Zuku den Bach erweitert und mit einem Weidenrutengeflecht abgesperrt. Dort hielt er Forellen. Von denen aß er aber keine.

Zuku hatte sich im Laufe der Zeit zu einem guten Jäger entwickelt. Sein Gewehr durfte er nicht oft benutzen, denn unweit des Schweinewaldes führte die Landstraße vorbei. So lernte er Fällen stellen, mit denen er Hasen fing. So ein Hasenbraten war eine angenehme Abwechslung zu Speck und Maisbrei. Einmal hatte sich sogar ein Reh gefangen. Die Falle hatte ihm den Fußknochen zerschmettert, so tötete Zuku es schnell und am Abend aß er andächtig davon. Von nun an verwendete Zuku nur noch kleinere Fallen.

Am Rande des Schweinewaldes baute sich Zuku eine Umzäumung, in der er ein paar Schafe hielt. Die Lämmer konnte man zur Osterzeit gut verkaufen. Zuku hatte herausgefunden, dass es besser war, die trächtigen Säue von den übrigen Schweinen abzutrennen. Es blieben dann mehr Ferkel am Leben, die man unter Umständen verkaufen konnte. Bisher hatte er seine Herren nie betrogen. Sie Waren stets zufrieden mit ihm. Doch nun dachte er daran, sich Reserven anzulegen für den Winter. Er wollte auch im Winter hier bleiben, nicht in den Norden der Moldau fahren. Er hatte darüber auch mit den Schweinebesitzern gesprochen; sie waren einverstanden.

Holz für den Winter lag genug im Wald, er musste es nur zusammentragen und zerkleinern. Fleisch würde er auch haben: er bekam jeden Herbst, wenn die Schweine weggeführt wurden, zwei von ihnen, die er sich auswählen durfte. Wenn er die schlachtete, genügte das. Kleider würde er sich vom Geld für die Lämmer und Spanferkel besorgen, die er zuweilen verkaufte.

So lag ein sorgloser Sommer vor ihm. Einmal am Tag mischte er Maismehl mit Wasser und schüttete es den Schweinen in die Tröge. Anfang Juni hatte er sich den Jungfalken aus dem Nest geholt. Er wurde schnell flügge, und Zuku hatte seine Freude daran, ihn fliegen zu sehen. Ganze Tage verbrachte er damit, den Flugkünsten des Falken zuzuschauen. So verging der Sommer für Zuku. Manchmal arbeitete er etwas, trug Holz zusammen oder schüttete den Schweinen Futter in die Tröge, dann wieder schnitzte er sich einen Stock, den er mit sich herumtrug, bis er ihn wegwarf.

Der Herbst kam ins Land und der Nebel biss die Blätter von den Bäumen. Die Schweine wurden weggeholt. Jetzt hatte Zuku für sich Zeit. Zuerst lauerte er dem Fischotter auf, der ihm seine Forellen gestohlen hatte. Am dritten Tage konnte er ihn abknallen. Es war wieder Zugzeit für die Enten. Auch von denen schoss er viele. Er hatte das Fell des Fischotters eingesalzen und später gegerbt. Es war ein hartes Stück Arbeit gewesen, doch er würde nun auch einen schönen Pelz haben, aus dem sich eine Mütze machen ließ. Nachdem die Enten vorbeigezogen waren, stand der Nebel immer dichter zwischen den Bäumen und es dauerte nicht lange bis der erste Schnee fiel. In jenem Jahr war der Schnee früh gefallen, doch er hatte sich dabei nichts gedacht. Der Falke hauste jetzt mit ihm im Stübchen, und Zuku trug ihn jeden Tag hinaus, um ihn fliegen zu sehen. Den Hunden hatte er auf der windgeschützten Seite der Hütte einen Holzverschlag gezimmert, in dem sie warm schlafen konnten.

Der Wind knarrte in den dürren Eichenästen und die Krähen krächzten hungrig in die Gegend. Zuku dachte sich, dass sie vielleicht gut schmecken konnten und eines Tages schoss er sechs. Sie wollten ihm aber nicht schmecken und so ließ er davon ab. Er konnte es sich jetzt leisten, das Gewehr mehr als sonst zu gebrauchen, denn es geschah selten, dass ein Wagen auf der Straße vorbeikam. Die Schafe hatte er alle verkauft. Die beiden Schweine hatte er geschlachtet und den Speck und das Fleisch zum Räuchern aufgehängt. In der Ecke des Stäbchens standen die Filzstiefel, darüber hing an einem Nagel ein Pelz wie ihn die Schafhirten tragen. Den Fischotter wickelte er sich um den Hals. Dabei durchrieselte ihn ein wonniges Gefühl. Das Holz für den Winter lag gestapelt ein paar Schritte neben der Hütte. Die Zigeunerin Marie kam nur noch selten zu ihm, denn die Schneedecke war inzwischen recht dick geworden. Kurz vor Weihnachten schneite es so viel, dass die Schweineställe unter dem Schnee fast ganz verschwanden.

Mit dem hohen Schnee kamen die ersten Wölfe. Wo sie sich blicken ließen, schoss Zuku ihnen nach. Er verwundete zwei, die vom Rudel gefressen wurden. Sie mussten verflucht hungrig gewesen sein, die Bestien. Eines Tages hatten sie einen der Hunde geholt und zerrissen. Den anderen musste Zuku in die Hütte nehmen. Dann waren ihm die Patronen ausgegangen, und er durfte es nicht wagen, sich von der Hütte zu entfernen. Er schloss die Fensterläden und verstärkte die Tür. Der Hund lag unter dem Ofen, doch von Zeit zu Zeit hob er den Kopf und winselte unruhig.

Die Wölfe belagerten die Hütte und Zuku durfte sich nicht hinauswagen. Das Geheul der Wölfe drang durch das Schneegestöber und in der Hütte wurde es immer kälter, denn Zuku wagte sich nicht hinaus, um Holz zu holen. Der Falke saß auf seiner Stange und schien zu einem Federklumpen erstarrt zu sein. Zuku zwang ihn, im Stübchen herumzuflattern, damit er nicht erfriere. Nahrung hatten sie genügend, doch die Kälte wunde immer beißender. In der Nacht saß Zuku auf dem Lager und hatte seinen Hund im Arm, um sich warm zu halten. So nickte er manchmal ein, denn an Schlaf war jetzt nicht zu denken. Als er aus seinem Halbschlaf aufschrak, hörte er ein Schnüffeln an der Tür. Er erstarrte, dann sprang er zur Tür und drückte den Stecken, der sie von innen stützte, fester daran, bis der Tag anbrach, und er stand und hielt den Stecken fest an der Tür.

Am Morgen aß er etwas und fütterte Hund und Falken. Tagsüber war es besser, doch er getraute sich auch jetzt nicht hinaus. Noch zwei Tage dauerte das Schneegestöber und der Wind brachte das Wolfsgeheul herüber. Am Morgen des zweiten Tages war der Falke von der Stange gekippt. Zuku steckte ihn unter das Hemd, um ihn zu wärmen, obwohl ihn dabei schrecklich fror.

Am dritten Tag hatte das Gestöber aufgehört und alles schien heiter. Zuku wagte sich hinaus. Die Wölfe waren weg. Die Sonne schien und der Schnee glänzte, wo er nicht durchzogen war von Spuren. Der Falke war inzwischen munter geworden und durfte ein bisschen fliegen. Zuku machte Feuer im Herd und briet ein wenig Fleisch, dann schleppte er das ganze Holz in die Hütte, um einer neuen Wolfsbelagerung besser standzuhalten. Zwar hörte er noch oft die Wölfe heulen, doch es war ihm gleichgültig. Er schlief im Warmen. Schlief dem Frühling entgegen.

Die Forelle

Es hatte damit begonnen, dass ein Staudamm bei Tatrang gebaut und der Tartelbach in einem Stausee gebändigt wurde. In unserer Gemeinde führte das zu einem beträchtlichen Absinken des Grundwasserspiegels, welches man vor allem in den offenen Schwengelbrunnen erkennen konnte. Bei meiner Großmutter im Hof steht so ein Schwengelbrunnen und sie behauptet auch heute noch, das Wasser daraus schmecke besser als jenes aus der Wasserleitung. Ich hatte eine Bachforelle gefangen und weil sie nicht sehr verletzt war, dachte ich sie im Brunnen weiter leben zu lassen. Ich trug sie in einem Plastbeutel heim. Jetzt lebte sie schon zwei Jahre im Brunnen. Meine Freude war es, sie zwischen den Steinen hervorschießen zu sehen, um nach einem Stück frischer Leber oder rohem Fleisch zu schnappen. Zuerst sah man einen dunkeln Strich auf dem Grunde des Brunnens hin und her flitzen, dann kam sie scharf mit geöffnetem Maul nach oben; manchmal so scharf, dass sie aus dem Wasser stieß und man die roten Punkte auf Seite und Rücken erkennen konnte.

Der Winter war niederschlagsarm und der Wasserspiegel sank stetig. Ich hatte trotzdem nicht geglaubt, dass der vier Meter tiefe Brunnen ohne Wasser bleiben würde.

Nach zwei Wochen war es geschehen und die Forelle lag in der Pfütze am Grunde des Brunnens. Ich holte die lange Leiter und stieg hinein. Die Kiemen der Forelle waren noch rot, doch mit Schlamm verschmiert, ich hielt sie in der Hand und versuchte ihre Länge abzuschätzen, da fiel vom inneren Brunnenrand ein großer Stein neben mich. Er musste sich beim Heruntersteigen gelöst haben. Ich hatte keine Zeit zum Nachdenken, denn jetzt begannen sich mit Gepolter mehrere Steine zu lösen und herunterzustürzen. Ein großer Stein durchschlug zwei Sprossen, als ich mich hinter die Leiter stellte, doch die Leiterstangen hielten stand. Bis jetzt hatte mich kein Stein direkt getroffen sondern nur nach dem Abprall von den Leiterstangen und den anderen Steinen. Jetzt gab es ein Krachen und das ganze Steingerüst, das den Brunnen von innen stützte, sackte zusammen. Steine trafen mich in schneller Reihenfolge, ein Schmerz jagte den anderen und ich wurde von Steinen eingekeilt. Mit Händen und Armen versuchte ich mich zu wehren, dann war es aus. Die Hände über dem Kopf konnte ich kaum bewegen; zwischen den Steinen konnte ich das Tageslicht erblicken.

Erde begann nachzurieseln, ich begann zu schreien. Bald konnte ich meine Großeltern rufen hören, dann andere Stimmen. Ich versuchte mich zu bewegen, unmöglich, ich war eingeklemmt zwischen Leiter, Steinen und Brunnenwand, die zum Glück nicht eingestürzt war. Ich hörte jemanden auf den Steinen über mir, er schrie, ich antwortete und er begann Steine über meinem Kopf wegzuräumen. Der Schmerz in den Armen nahm zu und ich rief, sie sollten sich beeilen! Erde rieselte nach und die Leiter vibrierte; also war er hinausgestiegen. Erde rieselte zwischen den Steinen auf mich, ich schrie. Das Stimmengewirr oben nahm zu, dann hörte ich einen Motor. Wieder stieg jemand in den Brunnen und warf Steine hinauf. Meine Arme wurden frei, doch sie waren kraftlos, dann schob man mir etwas in den Mund, deckte einen harten Gegenstand über mich und wieder vibrierte die Leiter.

Was weiter oben geschah, weiß ich nicht; Schmerz und Kälte hatten mich betäubt. Erde fiel auf den Gegenstand über meinem Kopf. Plötzlich kam keine Luft mehr durch den Schlauch, ich spukte ihn aus. Erneut fiel Erde herunter und ich spürte ein Reißen und Knirschen um mich. Wieviel Zeit vergangen war, weiß ich nicht. Es wurde hell und sie hatten mich ausgebaggert. Von der Tragbahre blickte ich auf das große Loch, aus dem sie mich herausgeholt hatten. Im Spital stellten sie Quetschungen am ganzen Körper fest und beide Unterarme waren gebrochen.

Was weiter oben geschah, weiß ich nicht; Schmerz und Kälte hatten mich betäubt. Erde fiel auf den Gegenstand über meinem Kopf. Plötzlich kam keine Luft mehr durch den Schlauch, ich spukte ihn aus. Erneut fiel Erde herunter und ich spürte ein Reißen und Knirschen um mich. Wieviel Zeit vergangen war, weiß ich nicht. Es wurde hell und sie hatten mich ausgebaggert. Von der Tragbahre blickte ich auf das große Loch, aus dem sie mich herausgeholt hatten. Im Spital stellten sie Quetschungen am ganzen Körper fest und beide Unterarme waren gebrochen.


Autor: Rolf Lexen

Erstellt: 5. Februar 2010 - 16:11. Geändert: 21. Februar 2010 - 17:11.